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Am Limit der Weltlage – und trotzdem handlungsfähig bleiben

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Am Limit der Weltlage – und trotzdem handlungsfähig bleiben

Kriege, Klimakrise, wirtschaftliche Unsicherheit.
Ich lebe in der Schweiz – politisch stabil, relativ sicher. Und trotzdem: Das Weltgeschehen ist nur ein Wimpernschlag entfernt und gerade eben kommunizierte Novartis oder SRG den Abbau von hunderten von Stellen. Die Alarmierung der Medien, die Bilder aus Kriegsgebieten, Klimarekorde, Berichte über Rezession und Schuldenkrisen lassen uns spüren:

„Ich werde von Dingen belastet, die ich weder überblicke noch direkt steuern kann – und trotzdem dreht mein Kopf ununterbrochen.“

Dieser Artikel ist für genau diesen Punkt.
Nicht, um dich zu beruhigen – sondern um dir einen anderen Umgang mit Unsicherheit zu zeigen: raus aus der gedanklichen Dauerschleife, rein in eine körperlich verankerte Präsenz, aus der echtes Handeln möglich wird.

Sorgen sind kein Problem – bis sie zur Strategie werden

In unsicheren Zeiten neigen wir dazu, mehr zu denken, mehr zu analysieren, mehr zu konsumieren:

  • News-Feed aktualisieren
  • geopolitische Szenarien durchspielen
  • Zukunft der Weltwirtschaft, des Klimas, der Demokratie ausmalen

Das fühlt sich „verantwortungsvoll“ oder „wach“ an – ist es aber oft nicht.

Sich Sorgen zu machen wird zur vermeintlichen Bewältigungsstrategie.

Warum?

  1. Negative Szenarien geben das Gefühl von Kontrolle.
    Wenn ich mir das Schlimmste ausmale, glaube ich:

    • „Ich bin vorbereitet.“
    • „Ich werde nicht überrascht.“
    • „Ich nehme das ernst – im Gegensatz zu den Naiven.“
  2. Gedankliche Lösungen fühlen sich an wie Handeln.
    Wir haben das Gefühl, etwas zu tun – obwohl wir nur denken.
    Das Nervensystem verwechselt mentale Hyperaktivität mit Wirksamkeit.

  3. Physiologisch wird Sorgen belohnt.
    Hier kommt eine unbequeme Wahrheit:
    Beim Grübeln, beim „Szenarien durchspielen“, beim gedanklichen Problemlösen wird im Gehirn u.a. Dopamin ausgeschüttet.
    Das heisst:

    • Dein System belohnt das Sorgenmachen.
    • Es fühlt sich kurzfristig sinnvoll, wach, notwendig an.
    • Langfristig frisst es deine Präsenz, deinen Schlaf, deine Handlungsfähigkeit.

Du landest im Alarm–Anxiety–Cycle:

  1. Ein Reiz (News, Social Media, Gespräch) triggert Alarm.
  2. Du gehst in Sorgen, Analysen, Worst-Case-Szenarien.
  3. Das gibt kurzzeitig Entlastung und ein Gefühl von Kontrolle (Dopamin).
  4. Dein Körper bleibt im Alarmzustand – unterschwellig, dauerhaft.
  5. Du brauchst neue gedankliche Runden, um das zu kompensieren.

Der Preis:

  • Schlaflosigkeit oder oberflächlicher Schlaf
  • Reizbarkeit, Erschöpfung, Zynismus
  • Entscheidungsunfähigkeit oder impulsive, kurzsichtige Entscheidungen
  • eine latente Grundanspannung, die du irgendwann für „normal“ hältst

Sich Sorgen zu machen ist dann nicht mehr Ausdruck von Verantwortung,
sondern ein Suchtmuster – subtil, gesellschaftlich akzeptiert, aber destruktiv.

Warum du deinen „Anxiety-Brain“ nicht wegdenken kannst

Der kanadische Arzt und Therapeut Russell Kennedy beschreibt in seinen Arbeiten zu Angst (u.a. „Anxiety Rx“) ein klares Muster:

  • Angst und Sorgen sind nicht primär ein Denkproblem.
  • Sie sind Ausdruck eines verletzten, alarmierten Nervensystems.
  • Das, was wir als „Anxiety“ erleben, ist oft ein alter innerer Alarm (frühe Unsicherheit, Überforderung, Bindungserfahrungen), der sich an aktuelle Themen anhängt: Krieg, Inflation, Klimakrise, Jobunsicherheit.

Kennedy unterscheidet grob zwei Ebenen:

  1. Anxious Mind – der Teil, der denkt, analysiert, Katastrophen konstruiert.
  2. Alarmed Body – der Teil, der tatsächlich in Not ist: Enge in der Brust, Druck im Bauch, Kloss im Hals, innere Unruhe, Herzrasen.

Was wir fast alle tun:
Wir versuchen, den Alarm im Körper mit dem Verstand zu regulieren.

  • „Ich muss das besser verstehen.“
  • „Wenn ich das politische System / die Märkte / die Geopolitik durchschaue, werde ich ruhiger.“

Die Realität:

Je mehr du vom Alarm weg in den Kopf gehst, desto stärker verstärkst du den Alarm.

Kennedys Kernbotschaft:

„You can’t think your way out of a feeling problem.“

Um aus dem Angst- und Sorgenkreislauf auszusteigen, müssen wir den Kanal wechseln:
Vom Kopf in den Körper. Vom Denken ins Spüren.

Vom Kopf in den Körper: Warum Discomfort der Zugang zur Intelligenz ist

Dein Neokortex – der Teil, mit dem du reflektierst, planst, komplexe Zusammenhänge verstehst – braucht relative Sicherheit, um gut zu funktionieren.

Wenn du konstant im Zustand von „Fight, Flight oder Freeze“ bist:

  • verengt sich deine Wahrnehmung
  • bist du reaktiver, aggressiver oder passiver
  • werden deine Lösungen kurzfristig, defensiv, begrenzt

Du reagierst dann auf globale Krisen mit:

  • Zynismus oder Verdrängung
  • hypermoralischer Empörung
  • Aktionismus ohne Tiefe
  • oder kompletter Lähmung

Die Alternative beginnt radikal simpel:

Nicht: weiterdenken.
Sondern: tiefer fühlen.

Schlüsselgedanke:
Wenn du in den Körperempfindungen bleibst – und nicht wieder in Gedanken flüchtest – entsteht etwas, das man sehr nüchtern als holistische Intelligenz beschreiben kann:

  • deine Wahrnehmung wird weiter
  • du bist bei dir und in Kontakt mit der Welt
  • du spürst Grenzen, statt sie nur zu denken
  • Handeln kommt aus Tiefe, nicht aus Panik

Das ist kein esoterisches Konzept, sondern Neurophysiologie:
Wenn du mit unangenehmen Empfindungen sein kannst, ohne sie wegzudrücken oder sofort zu „lösen“, reguliert sich dein Nervensystem.

Erst dann wird der Neokortex wieder wirklich verfügbar – und du kannst:

  • klarer denken
  • feiner unterscheiden
  • fokussierter handeln

Embrace Discomfort: Wie du den Alarm im Körper wirklich nutzt

„Embrace discomfort and pain“ ist schnell gesagt.
Die Praxis ist konkret, roh und unspektakulär – und genau deshalb wirksam.

Hier ein strukturierter Zugang, der zu meiner Arbeit (Atem, Kälte, Körper, Präsenz) passt und an Kennedys Konzept andockt:

1. Erkenne, wann du im Sorgen-Modus bist

Typische Marker:

  • Du checkst mehrmals täglich News, obwohl du nichts Neues erfährst.
  • Du diskutierst viel über Politik, Weltlage, Krisen – fühlst dich danach aber leer oder gereizt, nicht klarer.
  • Deine Gedanken springen: Krieg – Klima – Wirtschaft – eigene Zukunft – Kinder – Altersvorsorge – und wieder von vorn.
  • Dein Körper ist dabei: zitternde Hände, flache Atmung, verspannte Kiefermuskeln, Enge in Brust oder Magen.

Erster Schritt:
Nicht weiter begründen, warum deine Sorgen „berechtigt“ sind.
Sondern schlicht feststellen:

„Ich bin im Sorgen-Loop. Das ist ein Muster – kein Beitrag zur Lösung.“

2. Shift: Vom Kopf in den Körper (konkret, in 1–2 Minuten)

Setz dich hin. Füsse am Boden. Kein Handy in der Hand.

  • Richte deine Aufmerksamkeit auf 1 Körperzone, die gerade deutlich spürbar ist:

    • Druck in der Brust
    • Kloss im Hals
    • Ziehen im Bauch
    • Hitze im Kopf, Spannung in den Augen
  • Stell dir keine Fragen wie: „Warum ist das da?“ oder „Wie werde ich das los?“

  • Sag innerlich nur:

    „Okay, da bist du. Ich bleibe hier.“

Das, was du hier tust, ist essenziell:
Du wendest dich dem „alarmed body“ zu, statt ihn mit Denkprozessen zu übergehen.

3. Willkommenheissen statt Wegdrücken

Das ist der Punkt, wo „Embrace discomfort“ real wird.

  • Atme ruhig weiter – gern langsamer aus als ein.
  • Wenn die Empfindung stärker wird, ist das kein Fehler, sondern ein Zeichen, dass du nicht mehr flüchtest.
  • Du kannst innerlich sagen (Kennedy arbeitet mit ähnlich beruhigenden Sätzen gegenüber dem „inner child“ oder dem alarmierten System):

    „Ich sehe dich.“
    „Du bist nicht falsch.“
    „Du darfst hier sein.“

Es geht nicht darum, das Gefühl zu „heilen“ oder es möglichst schnell verschwinden zu lassen.
Es geht darum, dabei zu bleiben, bis dein System spürt:

„Ich bin mit dieser Empfindung nicht allein. Ich halte das aus.“

Das ist Regulierung von innen.

4. Mikro-Entscheidung: Was ist jetzt wirklich dran?

Erst nachdem du eine Welle gehalten hast, stell dir einfache Fragen:

  • „Was ist mein Einflussbereich – heute, konkret?“
  • „Was ist nicht in meinem Einflussbereich – und darf ich loslassen?“
  • „Was wäre eine kleine, stimmige Handlung aus Klarheit – nicht aus Panik?“

Das kann bedeuten:

  • Nachrichtenseiten auf 1–2 feste Zeitfenster am Tag zu begrenzen
  • konkret an eine seriöse Hilfsorganisation zu spenden, statt doomscrolling
  • ein Gespräch zu führen, das deine reale Beziehungen stärkt
  • in deiner Firma oder deinem Team einen konkreten Prozess robuster aufzustellen
  • in deinen Körper zu investieren: Schlaf, Atem, Kälte, Bewegung

Die Linie ist klar:

Weg von diffuser Weltangst – hin zu präziser, verkörperter Wirksamkeit.

Konkrete Anwendung auf die aktuellen Krisen

Schauen wir kurz auf die drei grossen Felder – mit deinem „Schweizer Blick“, aber global exponiert.

1. Kriege und geopolitische Eskalation

Dein Nervensystem ist nicht dafür gemacht, täglich Bilder und Analysen von Kriegen aus allen Weltregionen zu verarbeiten.

Was du tun kannst:

  • Informationsdiät:
    • 1–2 Quellen, 1–2 Zeitfenster pro Tag. Kein Dauerrauschen.
  • Körperanker direkt danach:
    • 3–5 Minuten bewusst stehen, atmen, spüren. Nicht gleich weiterarbeiten oder scrollen.
  • Präzise Aktion statt globaler Ohnmacht:
    • Spenden an konkrete Projekte
    • politische Beteiligung, die deinem Wertekompass entspricht
    • lokales Engagement (Gemeinde, Verein, Schule) – nicht als Flucht, sondern als Gegenbewegung zu Ohnmacht.

2. Klimakrise

Klimanachrichten triggern häufig eine tiefe Mischung aus Schuld, Angst, Wut und Hoffnungslosigkeit.

Statt in abstrakte Zukunftspanik zu rutschen:

  • Spüre zuerst: Was löst diese Nachricht körperlich in mir aus?
  • Bleib genau dort – Brust, Bauch, Hals – ohne neue Artikel zu öffnen.
  • Frage erst danach:
    • „Was ist für mich eine klare, langfristig stimmige Linie?“
      • Konsum
      • Mobilität
      • Geldanlagen
      • berufliche Ausrichtung

Du musst nicht „alles richtig“ machen.
Wichtiger ist: Du triffst Entscheidungen aus Klarheit, nicht aus Schuldpanik.

3. Wirtschaft / Inflation / Schulden / Jobunsicherheit

Auch hier: dein System liebt „Szenario-Denken“.
Der Preis ist oft: Lähmung.

Andere Linie:

  1. Körper regulieren (wie oben beschrieben).
  2. Dann nüchtern:
    • Finanzielle Basics klären (Liquidität, Schulden, Reserven).
    • Deinen Handlungsspielraum vergrößern (Skills, Netzwerk, Anpassungsfähigkeit).
    • Statt über die „Weltwirtschaft“ zu grübeln: deine konkrete ökonomische Resilienz stärken.

Du kannst nicht das globale System steuern.
Aber du kannst sehr wohl entscheiden, wie robust du bist, wenn es wackelt.

Sorgenfreiheit ist nicht das Ziel – Präsenz ist es

Es geht nicht darum, „keine Sorgen mehr zu haben“.
Wer wach ist, spürt die Schwere dieser Zeit.

Der Unterschied ist:

  • Sorgen als Dauerzustand: Kopf dominiert, Körper wird ignoriert, Handlungsfähigkeit sinkt.
  • Bewusste Besorgnis mit verkörperter Präsenz: Du nimmst Ernst, was geschieht – aber du bleibst handlungsfähig, verbunden, klar.

Oder wie ich es oft beschreibe:

Spüre die Grenze.
Nutze sie.
Am Limit entspannen.
Aus der Tiefe handeln.

Das globale Limit ist brutal sichtbar: ökologische, politische, ökonomische Grenzen.
Wenn du bei jeder Nachricht in den Kopf flüchtest, verstärkst du den Alarm.

Wenn du lernst, in die körperliche Erfahrung von Angst, Schmerz, Ohnmacht hinein zu atmen, statt davor wegzulaufen, entsteht etwas anderes:

  • Stille unter der Lautstärke
  • Klarheit unter der Verwirrung
  • Handlung aus Tiefe statt Show

Das ist der Punkt, an dem diese Arbeit mit Atem, Kälte, Hypnose, Bewegung – nicht mehr „Nice-to-have“ ist, sondern eine Antwort auf die Zeitqualität.

Einladung

Wenn du merkst, dass du in genau diesem Alarm–Anxiety–Cycle festhängst – mit Blick auf Krieg, Klima oder Wirtschaft – dann ist der nächste Schritt nicht mehr Input.

Der nächste Schritt ist Praxis:

  • eine einfache tägliche Sequenz, in der du mit dem alarmierten Körper arbeitest
  • klare Grenzen im Medienkonsum
  • bewusstes Training, unter Druck zu entspannen, statt ihn wegzuoptimieren

Zugang zu meinem eBook Compounding Habits. Du lernst wie kleine, konsistente Veränderungen zu exponentiellen Ergebnissen führen und erhältst regelmässig weitere Impulse: